Jugendwerkhöfe in der DDR
ein dunkles Kapitel sozialistischer Heimerziehung


 

 

Ankunft im Geschlossenen Jugendwerkhof

Schon bei der Ankunft wurde dem Ankömmling direkt klar gemacht, was ihn von nun an erwartet. Zu verdanken hatten die Jugendlichen dies ihren Leitern ihrer Stammheime, die die Anträge zur Einweisung nach Torgau stellten.

Schon die Fahrt nach Torgau erinnerte an einen Häftlingstransport. Der Erzieher fuhr zur Überwachung mit und hatte den zu überführenden Jugendlichen zu dursuchen. Man durfte zwar die eigene Kleidung tragen, doch persönliche Gegenstände waren untersagt. Einmal angekommen, durften die Jugendlichen erst aussteigen, wenn das schwere Einfahrtstor wieder geschlossen war. Eine Flucht war somit gänzliche unmöglich. Das nun folgende entwürdigende Einweisungsverfahren missachtete menschliche Rechte und Bedürfnisse vollkommen. Man hatte in strammer Haltung im Verwaltungsgebäude zu warten, bis der Erzieher alle nötigen Papiere hatte und der „Neuankömmling“ registriert war. Dies konnte zu einem stundenlagen Warten auf dem Flur führen. Danach wurde man in die Kleiderkammer geführt, wo man sich vollständig zu entkleiden hatte. Es erfolgte eine erneute Leibesvisitation, wo jede Tätowierung in einem Formular dokumentiert wurde. Nach dem Haareschneiden und der gründlichen Desinfizierung wurde man mit einheitlicher Anstaltskleidung ausgestattet. Die eigene Kleidung musste man abgeben. Anja aus dem Jugendroman „Weggesperrt“ fühlte sich in dieser Situation als „entblößt vor Leuten, die, wie es aussah, ihre Feinde waren, die sie demütigten, wie man nur die schlimmsten Feinde demütigt, und die sie aus einem Grund, den sich Anja nicht erklären konnte, hassten.“ (S. 182). Als sie auch noch vor den Augen des Erziehers ihren Körper desinfizieren muss und ihre daraufhin auch noch die Haare kurzgeschnitten werden, verfällt sie aufgrund der seelischen Misshandlung in einen Trancezustand: „Dass sie wenig später auf einem Stuhl saß und ihr die Haare abgeschnitten wurden, nahm sie kaum noch zur Kenntnis. Sie geriet in den Zustand, wie sie es später nennen würde, in eine Art Trance, in der alles keine Rolle mehr spielte – so als wäre man halb bewusstlos oder kurz davor zu sterben und in eine andere Welt hinüberzuwechseln.“ (S. 190 f.) Schließlich wurde man in eine Einzelarrestzelle geführt, in eine so genannte „Zuführungszelle“. Dort gab es nur eine harte Holzpritsche und einen Kübel für die Notdurft. Nach einer kurzen Einweisung bekam man dann „zur Beschäftigung“ die Hausordnung zum Auswendiglernen. Schon nach dem ersten Tag sind die Jugendlichen seelischen Demütigungen ausgesetzt und man sieht am Beispiel von Anja, dass es schwer ist auszuhalten, weshalb sie sich auch in den Zustand flüchtet. Außerdem weiß Anja sofort, was man hier mit ihr vor hat: „‚Sie wollen, dass ich mich verändere, Mama‘, flüsterte sie. ‚Sie wollen, dass ich mit dem Strom schwimme, wie alle anderen auch. Was soll ich tun, Mama?“ (S. 193) Bei der Ersteinweisung blieben die Jugendlichen drei Tage in der Zuführungszelle, bei mehrmaliger Einweisung bis zu 12 Tagen. Erst nach dem Aufenthalt im Einzelarrest wurde ein Aufnahmegespräch geführt, wo man den Grund der Einweisung und die vorgesehene Aufenthaltsdauer erfuhr. Ein genaues Entlassungsdatum stand allerdings nicht fest. Anschließend mussten die Jugendlichen zur Kontrolle einen Brief an ihre Eltern schreiben, wo sie lediglich den Inhalt des Aufnahmegespräches niederschreiben durften. Ab diesem Zeitpunkt waren sie ein Teil der Gruppe, ein Teil des Kollektivs.

"Das kann man eigentlich gar nicht beschreiben. Man ist da reingekommen, dann ging es gleich auf Zelle, und da war die Welt irgendwie zu Ende. Da wurde einem dann gesagt, dass man warten muss, bis man sein Einstellungsgespräch mit dem Direktor hat. Und, na ja, da war ich dann erst einmal drei Tage auf Zelle. Dann kam ich zum Direktor und dann in die Gruppe." Janet H., 1986 und 1987 dreimal im Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, insgesamt elf Monate.