Jugendwerkhöfe in der DDR
ein dunkles Kapitel sozialistischer Heimerziehung


 

 

Kathrin Begoin – ehemaliger „Zögling“ im
Jugendwerkhof Torgau

Kathrin Begoin bei einem ihrer Vorträge zum Thema „Jugendwerkhöfe in der DDR“


Kathrin Begoins Jugend verlief nicht wie die der meisten anderen Jugendlichen heutzutage. Im Alter von 15 Jahren musste sie die schrecklichen Geschehnisse und Zustände in den Heimen der DDR, insbesondere den Jugendwerkhöfen, und die Macht des Sozialismus zu spüren bekommen.

Bis zu ihrem 14. Lebensjahr wuchs Kathrin, die 1968 in Saalfeld geboren wurde, wohlbehütet als Einzelkind auf. Sie lebte zusammen mit ihren wohlsorgenden Eltern, mit denen sie eine sehr enge Beziehung pflegte.

Im Jahre 1982 kam fälschlicherweise in der Schule, die das Mädchen besuchte, das Gerücht auf, dass ihr Vater Mitarbeiter der Staatssicherheit sei. Kathrins Mitschüler waren von der Wahrhaftigkeit dieses Gerüchtes überzeugt und mieden sie seit diesem Moment an. Ihre Freunde wendeten sich von ihr ab und so fühlte sie sich immer mehr zu einer Clique hingezogen, deren Mitglieder aus Saalfeld kamen, überwiegend älter waren (d.h. ca. 17-25 Jahre alt) und damals schon unter Beobachtung der Staatssicherheit standen, da einige von ihnen Ausreiseanträge gestellt hatten oder sogar bereits Gefängnisstrafen abgesessen hatten. Die Mitglieder besagter Gruppe äußerten ihre Meinung in der Öffentlichkeit viel offener als andere. Sie hörten Musik, die den Vorstellungen der SED nicht entsprach und trugen Aufnäher, die mit der Aufschrift „Schwerter zu Pflugscharen“ versehen waren. Diese Jugendlichen und jungen Erwachsenen entsprachen nicht dem Ideal der kommunistischen Regierung, sie passten nicht in die damalige Gesellschaft.

Kathrins Eltern waren besorgt, als sie bemerkten, mit welchen Jugendlichen ihre Tochter ihre Freizeit verbrachte. Sie hatten Angst, dass ihr Kind abrutschte und aus Unwissenheit und Besorgtheit suchten sie Unterstützung bei der Jugendhilfe. Das Ehepaar Begoin bat dort lediglich um Rat. Sie wollten, dass Kathrin wieder mit Gleichaltrigen verkehrt und den Kontakt zur Clique abbricht.

Kathrins Eltern wussten nicht, dass der Gang zur Jugendhilfe dafür sorgen würde, dass ihre Tochter die drei bevorstehenden Jahre ihres Lebens in verschiedenen staatlichen Institutionen verbringen würde. Die Jugendhilfe entschloss sich dazu, Kathrin wegzusperren. Man nannte ihren Eltern einen Termin, an dem sie gemeinsam mit ihrer Mutter und ihrem Vater zu erscheinen hatte. Nach diesem Termin kehrte Kathrin nicht mehr nach Hause zurück. Man lud sie in einen Kleintransporter des Modells B-1000 und brachte sie in ein Durchgangsheim nach Gera.

Schon der erste Kontakt mit einem sogenannten Erzieher war von Respektlosigkeit, Verachtung und Brutalität geprägt. Der Mann riss Kathrin den Aufnäher mit der Aufschrift „Schwerter zu Pflugscharen“ vom Arm und nahm ihr ihre Kreuzkette, die sie von ihrer verstorbenen Großmutter erhalten hatte, ab. Als der Erzieher das Tattoo auf Kathrins Unterarm sah, nahm er eine Wurzelbürste und schrubbte ihre Haut an dieser Stelle so lange, bis ihr Arm zu bluten begann. Danach kam Kathrin das erste Mal im Leben in eine Zelle, in welcher sich ein aufrechtstehendes Bretterbett, ein Hocker und eine Eimer für die Notdurft befand.

Drei Wochen lang sollte das damals 15-jährige Mädchen im Durchgangslager Gera -angeblich zur Abschreckung- bleiben. Für Kathrin war diese Zeit eine Art Schocktherapie. Als sie nach drei schweren Wochen nach Hause zurückkehren durfte, wies man ihr eine Lehrstelle, von der kaum ein junges Mädchen träumt, zu. Sie sollte als „Hilfsarbeiterin in einem Elektroniklager“, im „VEB Carl – Zeiss – Jena Betriebsteil Saalfeld“ aushelfen. Dieser Arbeit ging Kathrin auch nach, bis sie jedoch eines Montagmorgens zu spät kam. Man trug ihr eine Fehlschicht ein und meldete den Vorfall sofort der Jugendhilfe, die der Ansicht war, dass dies Grund genug war, erneut eine Sitzung abzuhalten. Kathrin wird nie vergessen, wie ein 83-jähriger, ehrenamtlicher Helfer der Jugendhilfe sagte, dass sie weggesperrt gehöre, um zu einer sozialistischen Persönlichkeit umerzogen zu werden und in einen Jugendwerkhof gebracht werden solle, da sie eine Gefahr für die Stadt Saalfeld darstelle. Kathrin fragte sich nur, wie man im Alter von 15 Jahren eine Bedrohung für eine Stadt sein könne. Was ihre Eltern oder sie selbst sagten, wurde ignoriert. Von einem Augenblick zum nächsten hatten sowohl ihre Mutter als auch ihr Vater kein Mitspracherecht mehr. Man traf Entscheidungen, ohne den Willen der Eltern und der Tochter zu berücksichtigen. Kathrins Mutter begann zu weinen und flehte, dass man ihre Tochter zu Hause ließe, doch es brachte alles nichts.

Noch am selben Tag wurde Kathrin zum zweiten mal in das Durchgangslager Gera gebracht, wo sie sich zwei Wochen lang aufhalten musste, angeblich so lange, bis ein Platz in einem der Jugendwerkhöfe frei sei. Danach brachte man sie in den Jugendwerkhof (JWH) Eilenburg, wo sie mit den anderen Insassen des JWH in einer separaten Halle in einem Getränkewerk arbeiten musste. Man wollte vermeiden, dass die Jugendlichen mit anderen Menschen in Kontakt kommen. Kathrin und die anderen jugendlichen Insassen arbeiteten im Zwei – Schichtsystem und somit waren sie billige Arbeitskräfte, deren Entlohnung sehr gering war. Von diesem Geld mussten sie jedoch Sachen wir z.B. Seife, Binden, Kleidung und Ähnliches finanzieren. Am Ende des Monats blieb also kein Geld mehr übrig.


Der Jugendwerkhof Eilenburg heute


In den ersten zwei Monaten im Jugendwerkhof Eilenburg lief Kathrin nicht davon. Zu Beginn durften ihre Eltern sie einmal in der Woche besuchen, was ihnen jedoch dann verboten wurde. Kathrin sah ihre Mutter und ihren Vater seltener, was der Grund dafür war, dass sie davonlief (damals sagte man „Entweichen“ anstatt „Davonlaufen“). Kathrin wollte nur nach Hause, sie fühlte sich im Jugendwerkhof Eilenburg fehl am Platz, denn sie hatte ein intaktes Zuhause und fürsorgende Eltern.

Sie entwich mehrmals, wurde jedoch immer wieder aufgegriffen und geriet dann durch verschiedene Durchgangsheime immer wieder zurück nach Eilenburg.


Der Jugendwerkhof Eilenburg zu Zeiten der DDR


Eines Tages wollte Kathrin einmal offiziell drei Tage zu Hause sein. Sie gab vor schwanger zu sein und sagte ihren Eltern, die die Geschichte der Heimleitung mitteilten, dass sie zum Frauenarzt müsse. Man willigte ein und nahm an, dass eine Schwangerschaft tatsächlich plausibel sei. Kathrin erfuhr erst später, dass der Heimleiter einen Entschuldigungsbrief an den Direktor des Jugendwerkhofs Torgau schrieb, in dem stand, dass sie eventuell schwanger sei und dass, sollte es so sein, nach Rückkehr in den Jugendwerkhof ein sofortiger Schwangerschaftsabbruch stattfinden werde. Kathrins Eltern fuhren sie nach der kurzen Zeit zu Hause zurück zum Jugendwerkhof Eilenburg. Solange ihre Eltern vor Ort waren, behandelte man das Mädchen freundlich, aber sobald das Ehepaar Begoin die Institution verlassen hatte, schickte man Kathrin zur Heimleitung, legte ihr dort eine Art Handschellen an und zerrte sie in einen Kleintransporter, erneut des Modells B-1000, aus dem man nicht herausschauen konnte. Man sagte ihr, dass sie jetzt dorthin gebracht werde, wo sie hingehöre, dass sie sowieso nichts wert sei und dass sie nun am eigenen Körper erfahren werde, was es heißt nicht zu gehorchen.

Man fuhr Kathrin nach Torgau.

Wie stark muss man sein, um einer solchen Situation standzuhalten, weiterzumachen und die Hoffnung nicht aufzugeben? Viele Kilometer entfernt von der geliebten Familie, umgeben von fremden Menschen, gedemütigt, verängstigt, verlassen. Kathrin Begoin erlebte all dies bereits in ihrem jungen Leben, bis zu ihrem 16. Lebensjahr. Doch ihre Geschichte ist noch lange nicht zu Ende.

Bald darauf stellten die Erzieher Kathrin Einheitskleidung zur Verfügung und brachten sie in eine Arrestzelle. Darin befand sich eine senkrecht an die Wand gelehnte Pritsche, ein Hocker in der Mitte des Raumes und ein Eimer für die Notdurft.

Als sie dort ankam, öffnete sich ein Tor, welches sofort geschlossen wurde, sobald sie es passiert hatten. Über einen Hintereingang brachte man Kathrin in einen Zellentrakt, wo man sie im Flur „abstellte“. Man schrie sie an: „Stillgestanden! Die Augen auf den Boden! Es wird nicht gesprochen!“. So stand sie mehrere Stunden lang da, jedoch weiß sie selbst nicht, wie viel Zeit sie dort auf dem Flur genau verbrachte, da nirgendwo eine Uhr zu sehen war. Daraufhin brachte man das Mädchen in einen Raum, in dem sich eine Frau und ein Mann befanden. Sie schrien das verzweifelte Mädchen an: „Ausziehen!“. Kathrin war zu diesem Zeitpunkt 16 Jahre alt und weil sie sich schämte, entkleidete sie sich nur bis auf die Unterwäsche. Dann kam ein Schrei: „Ganz ausziehen!“. Die pure Angst überkam das Mädchen und so folgte sie der Aufforderung. Ein Mann brachte sie in einen Duschraum, der Kathrin an die Gaskammern von Buchenwald, die sie aufgrund einer Besichtigung des ehemaligen Konzentrationslagers im Kindesalter kennengelernt hatte, erinnerte. Panische Angst ergriff sie, denn ihr erster Gedanken beim Anblick des Duschraumes war: „Hier kommst du nie wieder raus.“. Ein sogenannter Erzieher des Jugendwerkhofs Torgau schrie sie an, sie solle ihre Hand öffnen und sich desinfizieren. Dann schrie er erneut „Auch im Intimbereich!“. Kathrin wäre vor Scham am liebsten im Boden versunken. Doch es gab keinen Ausweg und so gehorchte sie.


Zelle im ehemaligen GJWH Torgau

 

Zwei Zettel drückte man der 16-jährigen in die Hand, die sie auswendig zu lernen hatte. Man drohte ihr, sie bekäme nichts zu essen und zu trinken, bis sie das Geschriebene auswendig könne.

Der erste Zettel enthielt die Arrestordnung.

Kathrin las:

ARRESTORDNUNG
Es ist Ihnen im Arrest untersagt zu lernen, zu singen und zu pfeifen.
Das Besitzen von Bleistiften, Büchern und dergleichen,
Das Beschmieren von Türen und Wänden,
Das Herausschauen aus dem Fenster, Das Benutzen der Lagerstätte außerhalb der Nachtruhe,
und jede Art der Unterhaltung mit anderen Jugendlichen ist Ihnen im Arrest untersagt.

Auf dem zweiten Blatt stand Folgendes:


ARRESTBELEHRUNG


Sie haben nach Aufforderung des Erziehers in der Mitte der Zelle auf dem Hocker mit Blickrichtung zur Tür zu sitzen oder in der Mitte der Zelle zu stehen.
Beim Betreten der Zelle eines Erziehers haben Sie unaufgefordert in Grundstellung Meldung zu machen.
1. Name, 2.Stammeinrichtung, 3.Grund der Einweisung oder Arrestierung

Darunter las man: Auswendig lernen bis zur nächsten Mahlzeit, sonst gibt es nichts zu essen.

Es war tatsächlich so, dass die Jugendlichen erst dann etwas Nahrung erhielten, wenn man die Regeln auswendig konnte. Unter den 14- bis 18-jährigen Insassen des Jugendwerkhofs Torgau waren auch etliche, die Lernschwächen aufwiesen. Man kann sich vorstellen, dass diese Jugendlichen dann mehrere Tage lang nichts zu essen bekamen.

An Kathrins erstem Tag im Jugendwerkhof holte man sie noch einmal aus der Zelle und zwang sie, die Haare abschneiden zu lassen. Angesprochen wurde sie wie immer nur mit ihrem Nachnamen, man wurde nie bei seinem Vornamen genannt. Man brachte Kathrin in einen Raum und schnitt ihr ihre langen Haare komplett an. An den Seiten und am Hinterkopf rasierte man sie ihr sogar ab. Als die Jugendliche sich dann wieder ganz alleine in ihrer Zelle befand, begann sie bitterlich zu weinen. Keiner teilte einem mit, was als nächstes passierte oder wann man wieder zu seiner Familie zurückkehren kann. Diese Ungewissheit und die Einsamkeit zermürbten Kathrin. Es gab niemanden, mit dem man hätte reden können, man war auf sich allein gestellt, alleine und verlassen in seiner kalten, leeren Zelle. Einzelhaft bedeutete für die Insassen sowohl wenig Essen als auch wenig Zutrinken. Alle erhielten drei Becher Tee am Tag, einen morgens, einen mittags und einen letzten am Abend. Es bedeutete außerdem extremen Sport. Zwanzig bis dreißig mal musste man im Entengang die Treppe hoch- und herunterlaufen. Zu Beginn glaubte Kathrin nicht daran, dass sie es schaffen könnte, doch die Angst im Rücken verhalf ihr zu Kräften, von denen sie nicht wusste, dass sie sie besaß. Sie hielt durch.

Nach einer Woche Arrest brachte man die 16-Jährige auf „Gruppe“. Das bedeutet, dass sich acht Jugendliche eine Zelle teilen, in der es nur einen einzigen Eimer für die Notdurft gab.

Eines Tages stand auf dem Essensplan Sülze, ein Gericht, das Übelkeit in Kathrin aufstiegen ließ. Gegen ihren Willen zwangen Erzieher sie, alles aufzuessen. Sie gehorchte, musste sich aber daraufhin übergeben. Dann befahl man ihr, das Erbrochene zu essen, doch Kathrin weigerte sich und wieder steckte man sie zurück in eine Einzelzelle.

Von der Heimleitung wurde ein sehr strenger, unmenschlicher und harter Tagesablauf festgelegt.

Geweckt wurden die Jugendlichen um 5:30 Uhr frühmorgens. Dann hatten sie zwei Stunden Zeit für Frühsport, zum Waschen, was nur mit eiskaltem Wasser möglich war, zum Bettenbauen, zum Nachrichten hören und zum Frühstücken. Dann erfolget die Übergabe zur Arbeit oder Schule. Von 11:30 – 12.00 Uhr hatten die Insassen eine kure Mittagspause und mussten ab 12:00 Uhr für vier weitere Stunden arbeiten. Kathrin musste Waschmaschinenteile herstellen. Den ganzen Tag lang musste sie an Maschinen stehen und durfte mit niemandem sprechen. Ab 16:00 Uhr hatten die Jugendlichen dann laut Plan Zeit für „Sport und individuelle Freizeitgestaltung“. Das bedeutet Drill- und Strafsport. Außerdem sollten sie sich waschen und umziehen, da es um 17:30 Uhr Zeit Abendessen gab, wofür man eine halbe Stunde Zeit hatte. Danach kam es dann zur Ämterniederlegung und zur Tages- und Nachrichtenauswertung. Um 21 Uhr wurden die Insassen zur Nachtruhe eingeschlossen.

Einmal die Woche, am Freitag, wurden die Jugendlichen vormittags in den Fächern Mathe, Deutsch, Staatsbürgerkunde und Arbeitslehre unterrichtet.

Trotz extremem Sport bis hin zur körperlichen Erschöpfung erhielten sie weiterhin nur drei Becher Tee am Tag.

Außerdem gab es vorgeschriebene WC-Gänge, die nur dann stattfanden, wenn mindestens fünf Jugendliche auf Toilette mussten. Ein Erzieher schrie: „Antreten! Durchzählen! Jugendliche, die auf WC müssen vortreten und in Fünfergruppen wegtreten!“.

Man kann sich vorstellen, dass jeder dieser WC-Gänge eine Prozedur war. Zu fünft nebeneinander, ohne Trennwand, ohne Privatsphäre und mit einem Erzieher, der in der Tür stand und die Jugendlichen bei den WC-Gängen beobachtete. Natürlich schämten die Mädchen sich, wenn ein männlicher Erzieher vorher fragte, wer Hygiene-artikel brauche. Trotz hartem Sport und Arbeit bekam man höchstens zwei Binden pro Tag. Um die Situation trotzdem irgendwie bewältigen zu können, versuchten die Mädchen sich während ihrer Periode mit Toilettenpapier über Wasser zu halten, denn wenn man seine Unterhose beschmutzte, galt das als „Beschädigung von Volkseigentum“ und man bekam Geld von seinem Lohn abgezogen.

Die Jugendlichen durften lediglich einmal im Monat von Verwandten ersten Grades besucht werden. Kathrins Eltern baten darum, sie jede Woche sehen zu dürfen, doch erst nach vier Anfragen erlaubte man ihnen, ihre Tochter besuchen zu dürfen. Man brachte Kathrin in einen Raum, in dem sie ein Tisch von ihren Eltern trennte. Links und rechts neben dem Mädchen saßen Wächter, die zuhörten. Es war untersagt, über die Einrichtung oder die Geschehnisse dort zu sprechen.

Kathrin hätte ihre Eltern gern umarmt, doch auch das war verboten.

Dreieinhalb Monate später wurde Kathrin von einem Wächter aufgesucht, der ihr befahl, mitzukommen. Man brachte sie in einen Raum und ließ sie zwei Dokumente unterschreiben. Darauf stand, dass man sie dort gut behandelt habe und ihr nichts angetan habe. Natürlich war dies eine einzige Lüge. Schläge und Peinigungen waren an der Tagesordnung, auch wenn das nicht die schrecklichsten Geschehnisse waren, die hinter den Mauern von Torgau passierten.

Auf dem zweiten Dokument stand geschrieben, dass man Stillschweigen bewahren müsse und mit niemandem, auch nicht den eigenen Eltern, über das, was in der Einrichtung passierte, sprechen dürfe. Es hieß, dass man sofort wieder eingewiesen werden würde oder, sollte man schon 17 Jahre alt sein, in ein Gefängnis gebracht würde, wenn man an die Öffentlichkeit ging. Jeder Jugendliche unterschrieb die Dokumente, nur um dem Jugendwerkhof entkommen zu können.

Aus Angst, so etwas noch einmal erleben zu müssen, schwiegen so gut wie alle. Man fürchtete sich vor einer erneuten Einweisung. „Lieber tot als nochmal nach Torgau“, hieß es unter den ehemaligen Insassen.

Kathrin wurde mit knapp 18 Jahren, nachdem sie die oben genannten Dokumente unterschrieben hatte, als „Unverbesserlich“ entlassen.

Heute kann Kathrin Begoin über das Geschehene reden. Sie hält Vorträge, in denen sie über das Thema „Jugendwerkhöfe in der DDR“ aufklärt, oft auch an Schulen. Auf dem unteren Bild sieht man sie und ihre Freundin Kerstin Kuzia, ebenfalls eine Zeitzeugin, bei einem ihrer dieser Vorträge.


Links: Kathrin Begoin, rechts: Kerstin Kuzia