Jugendwerkhöfe in der DDR
ein dunkles Kapitel sozialistischer Heimerziehung


 

 

Jugendwerkhöfe allgemein

Die Jugendwerkhöfe in der DDR waren spezialisiert für die Aufnahme von „schwererziehbaren“ Jugendlich im Alter von 14 bis 18 Jahren. Spätestens mit Erreichen der Volljährigkeit erfolgte die Entlassung.

Die Jugendwerkhöfe waren bis Anfang der 1950er Jahre in verschiedene Kategorien gegliedert. Man unterschied zwischen dem Grad der Erziehungsschwierigkeiten.

Ab 1952 nahm man eine Änderung vor und teilte die Jugendlichen nach Ausbildungsmöglichkeiten ein. Dabei unterschied man zwischen den Kategorien A und B. Der ersten Kategorie wurden Schüler mit dem Wissensstand der 6. bis 8. Klasse zugeordnet, der Zweiten die Jugendlichen mit dem Wissensstand bis einschließlich 5. Schuljahr. Es sollten jedoch die Jugendlichen beider eingeteilten Gruppierungen in den Schulen der Heime mindestens einen Abschluss der 8. Klasse erreichen.

Eine zusätzliche Kategorie, die Kategorie C wurde im Jahre 1964 eingeführt, die sich jedoch nicht bewährte. Sie war speziell für die Aufnahme von „schwererziehbaren, bildungsfähigen, schwachsinnigen Jugendlichen“ gedacht.

Man entschied sich deshalb für die Abschaffung der Unterteilung nach schulischen Leistungen.

Ab 1964 unterteilte man die Jugendwerkhöfe dann nach Typ I und Typ II. Die Einrichtungen des Typ I waren für einen kurzen Aufenthalt (drei bis neun Monate) von Jugendlichen ohne berufliche Qualifizierung gedacht. Sie wurden jedoch bald schon wieder abgeschafft, weil sich herausstellte, dass die kurzzeitige Einweisung die Jugendlichen nicht zu der „sozialistischen Persönlichkeit“ verhalfen, die man sich vorstellte.

Die Jugendwerkhöfe Typ II waren vorgesehen für Jugendliche „mit einem hohen Grad der Fehlentwicklung“ und diejenigen, die sich nicht ohne weiteres zu einer sozialistischen Persönlichkeit umformen ließen.

Die Einrichtungen sowohl des Typ I als auch des Typ II waren nochmal unterteilt in die Kategorien A und B. Dabei war die Kategorie A für Normalschüler und die Kategorie B für Jugendliche mit schulischen Problemen vorgesehen.

Es gab im Jahre 1965 sieben Jugendwerkhöfe des Typ I, von denen nur einer für Hilfsschüler geeignet war und 22 Einrichtungen des Typs II, von denen 17 von Normalschülern bewohnt wurden. Die Ausbildungsmöglichkeiten in den Jugendwerkhöfen beliefen sich 1961 auf sechs „Berufszweige“:

  • Baufach (Maurer, Ziegler)

  • Handwerk (Bäcker, Maler, Schuhmacher, Schuhfacharbeiter, Tischler)

  • Hauswirtschaft (Beiköchin, Wäschereifacharbeiter, Wirtschatfspflegerin)

  • Landwirtschaft (Landwirte, Gärtner, Viehzüchter, Tierpfleger)

  • Metall (Schlosser, Fräser, Hobler, Löter etc.)

  • Textil (Industrienäherin, Weber)

Abgesehen davon konnte man aber auch als „Ungelernter“ arbeiten, z.B. als Arbeiter, Gleisbauer oder Gummifacharbeiter.

Die Hälfte aller Insassen wies erhebliche schulische Rückstände auf. Viele wiederholten eine oder mehrere Klassenstufen und die meisten schlossen keine Berufsausbildung ab, weil dazu ein mindestens anderthalbjähriger Aufenthalt notwendig gewesen wäre.

Jeder Jugendwerkhof in der DDR verfügte über Außen- und Nebenstellen, die sich meistens um die Organisation der Ausbildung der Jugendlichen kümmerten.

Abgesehen davon gab es sowohl „geschlechtsgemischte“ Jugendwerkhöfe und solche, in denen sich Mädchen und Jungen gleichzeitig aufhielten.

Die Schwangerschaft eines Mädchens hinderte die Jugendhilfe nicht an einer Einweisung in einen Jugendwerkhof. Man zwang einige junge Frauen gegen ihren Willen zu Schwangerschaftsabbrüchen und nach Geburt zur Freigabe zur Adoption des Neugeborenen.

Gerechtfertigt wurde die Arbeit der Jugendwerkhöfe mithilfe des Familiengesetzbuches von 1965 und der Jugendhilfe – Verordnung von 1966.

Bei der Entscheidung, ob eine Einweisung in einen Jugendwerkhof erfolgte, spielten die Rechte und der Wille des Jugendlichen und der Eltern kaum eine Rolle. Laut Familiengesetzbuch konnte die Entziehung des Erziehungsrechts veranlasst werden, wenn die Eltern ihren Pflichten als sozialistische Persönlichkeiten ihren Kindern gegenüber nicht erfüllten. Über die weitere Betreuung und Erziehung des Kindes entschied die Jugendhilfe in einem solchen Fall. Die Gründe für den Entzug des Erziehungsrechts (z.B. „Verwahrlosung des Kindes“) waren jedoch sehr „schwammig“, denn das, was dafür sprach, ließ sich in verschiedenster Art und Weise interpretieren, über- und untertreiben.

Wenn einem straffällig gewordenen Jugendlichen eine Bewährungsstrafe verhängt worden war, hatten diese die Möglichkeit, ihre Bewährungszeit in einem Jugendwerkhof zu verbringen. Natürlich konnte die Bewährung widerrufen werden, wenn der Jugendliche sich in den Augen der sozialistischen Heimleitung nicht ordnungsgemäß verhielt.

Wenn eine Einweisung in einen Jugendwerkhof erfolgt war, kam der Jugendliche in ein Durchgangsheim (D – Heim), bis ein Platz in einem regulären Heim frei wurde. Man wählte besagte Durchgangsheime absichtlich in weitest möglicher Entfernung vom Heimatort aus, um „Entweichungen“, also Davonlaufen, zu vermeiden.

Wie auch im Fall von Kathrin Begoin wurden die Jugendlichen nach ca. zwei bis drei Wochen vom Durchgangsheim mithilfe von Sammeltransporten in die jeweiligen Jugendwerkhöfe gefahren.

Jedoch war nicht Resozialisierung, sondern Repression das Ziel der Jugendwerkhöfe in der DDR, die meistens in ehemaligen Schlössern oder Villen eingerichtet wurden. Anstatt Kindern und Jugendlichen in Not zu helfen, versuchte man diejenigen, die „anders“ waren und den sozialistischen Vorstellungen eines Bürgers nicht entsprachen, zu brechen. Man wollte funktionierende Menschen aus ihnen machen, wobei deren selbstständiges Denken vermieden werden sollte. Kathrin Begoin schreibt, dass man sich „funktionierende Marionetten wünschte“. An einem solchen Ort war jeder rechtlos und der Willkür der Erzieher vollkommen ausgeliefert.

Für die Jugendlichen, die eingewiesen wurden, bedeuteten die nächsten Wochen und Monate Knast ohne Gerichtsverfahren, oft sogar ohne juristisch relevanten Anlass. Keiner der Insassen hatte einen gerechten Prozess erlebt.

Wer in den regulären Jugendwerkhöfen negativ auffiel, wurde in den Geschlossenen Jugendwerkhof Torgau gebracht. Um dorthin verwiesen zu werden, waren keine wirklichen Verbrechen notwendig. Bereits kleine Vergehen (z.B. Entweichen aus einem regulären Jugendwerkhof) reichten aus, um ohne Gerichtsurteil nach Torgau gebracht zu werden.

Alle Jugendwerkhöfe erstellten ähnliche, streng verplante Tagesabläufe, die eine Methode zur Disziplinierung darstellen sollten. Um 5:30 Uhr wurden die Insassen geweckt. Dann blieb ihnen eine dreiviertel Stunde zum Bettenbau, Waschen und Putzen des Hauses. Bevor um 6:35 Uhr die Kontrolle der Räume und Anlagen sowie der Bekleidung erfolgte, wurde um 6:15 Uhr gefrühstückt. Danach kam es zum Appell und zur Übergabe der Lehrlinge an die Lehrer und Lehrausbilder. Unterrichts- und Ausbildungsbeginn war um 7:00 Uhr und dauerte zwei Stunden an. Nach einer kurzen Frühstückspause um 9 Uhr fand berufspraktischer Unterricht bis um 12:30 Uhr statt. Danach erfolgte eine halbstündige Mittagspause. Ab 13:00 Uhr erfolgte die berufspraktische Ausbildung und um 15:50 Uhr blieb den Jugendlichen 10 Minuten Zeit um den Tag in den Ausbildungsgruppen auszuwerten. Dann wurden die Lehrlinge an die Erzieher übergeben. Um 17:00 Uhr kam es zum Schuhappell, zur Bekleidungskontrolle, zum Waschen und zur Revierreinigung. Abendbrot bekamen die Insassen um 17:30 Uhr. Erst um 18:15 Uhr hatten die Jugendlichen kurze Zeit zur Erholung, denn dann gab es eine Pause für alle Erziehungsgruppen. Der Tagesplan sah von 18:30 Uhr bis 19:30 Uhr Veranstaltungen laut Freizeitrahmenplan und ab 19:30 Uhr Tätigkeiten im Erziehungsbereich und individuelle Freizeit vor. Bevor um 21:30 Uhr Heimruhe herrschte, wurde ab 20:45 Uhr erneut eine Revier- und Hausreinigung statt. Die Jugendlichen wuschen sich und danach erfolgte eine Vollzähligkeitskontrolle.

In den Jugendwerkhöfen der DDR war Brutalität an der Tagesordnung. Schläge mit dem Schlüsselbund, Einzelarrest und Putzdienste waren alltägliche Vorkommnisse. Die Jugendlichen standen ständig unter Kontrolle und Beobachtung, sogar während den Toilettengängen. Es kam zu extrem hartem Strafsport, der die Insassen an den Rand der Erschöpfung trieb. Wenn jemand nicht mehr konnte oder in irgendeiner Hinsicht versagte, wurde immer die ganze Gruppe bestraft.

Die schlimmste Bestrafung jedoch erfolgte abends. Die Person, die versagt hatte und wegen der die gesamte Gruppe bestraft wurde, wurde von den Mitinsassen gefoltert, verprügelt und geschlagen. Natürlich schauten die Aufseher weg.

In den Kinder- und Jugendwerkhöfen, insbesondere im sächsischen Torgau, wurden zahlreiche Insassen sexuell missbraucht.

Eine kontinuierliche Betreuung nach der Entlassung der Jugendlichen aus dem Jugendwerkhof gab es nicht wirklich. Die Wiedereingliederung der ehemaligen Insassen in die Gesellschaft sollte lediglich frühzeitig durch die Erzieher vorbereitet werden.

Willkür, Demütigungen und sadistische Aufseher mit Prügelstöcken prägten den Alltag der Insassen. Und leider hält das Stillschweigen der damals Inhaftierten auch heute noch vielerorts an. Von den 4000 Inhaftierten haben sich bis jetzt nur ca. 400 gemeldet und eine Reha beantragt. Für jeden angebrochenen Monat betragen die Haftentschädigungen ca. 300 Euro.

Es stellt sich die Frage, ob das Erlebte mit Geld zu entschädigen ist.

Die Kindheit und Jugend wurde den ehemaligen Insassen geraubt, ihre Zukunft wurde zerstört, ihr Wille gebrochen und ihr Leben zerstört. Geld als Entschädigung löscht die schrecklichen Erinnerungen, die für immer bleiben werden, nicht aus.

Für viele ehemalige Insassen ist heute ein normales Leben trotz ärztlicher Behandlung nicht mehr möglich.

Die Unterbringung von Jugendlichen im Jugendwerkhof Torgau wurde 2004 für rechtswidrig erklärt. Ein Trost für die, deren Leben zerstört wurde, ist das jedoch nicht mehr.