Jugendwerkhöfe in der DDR
ein dunkles Kapitel sozialistischer Heimerziehung


 

 

Entwicklung der Jugendhilfe

Das Ziel der sozialistischen Regierung war es, „sozialistische Persönlichkeiten“ zu erschaffen.

Man glaubte an die Veränderbarkeit und Erziehbarkeit der Menschen. Diese Annahme war eine Grundlage der Bildungs- und Erziehungsideale der DDR. Eine in den Augen der Sozialisten neuere und besser Gesellschaft sollte geschaffen und ein antifaschistischer Staat gegründet werden, zu dem auch der „neue“, also sozialistisch geprägte Mensch, gehörte.


Entwicklung von 1949 bis in die 1980er Jahre

In einem Lehrbuch aus den frühen 1970er Jahren, der Übersetzung eines sowjetischen Werkes, wurden die Eigenschaften eines sozialistischen Menschen folgendermaßen beschrieben:

„Ergebenheit gegenüber den Idealen des Kommunismus, das entwickelte Bewußtsein, Herr des Landes und seiner Reichtümer zu sein, das Bewußtsein der Würde des arbeitenden Menschen, Optimismus und Zielstrebigkeit,…Diszipliniertheit, Organisiertheit, Prinzipienfestigkeit, Arbeitsliebe, geistiger Reichtum, moralische Sauberkeit, physische Vollkommenheit, allseitige Bildung, hohe Kultur, entwickelter ästhetischer Geschmack, physische Gestähltheit.“

Die Bundesrepublik galt als der stärkste Feind und man versuchte die Jugendlichen eine starke emotionale Bindung an den Staat zu lehren.

Eine weitere wichtige Eigenschaft der „sozialistischen Persönlichkeit“ war das Empfinden von Arbeit als erstes Lebensbedürfnis. Von daher galt die „sozialistische Arbeitsmoral“ also für Kommunisten als eine grundlegende Basis.

Aufgrund dessen mussten viele Jugendliche einen „Umerziehungsprozess“ entsprechend der Vorstellung der Jugendhilfe durchleben.

Weil die Sozialisten von der Erziehbarkeit eines jeden Gesellschaftsmitglieds überzeugt waren, erhoben sie sie zur Aufgabe und Pflicht der gesamten Gesellschaft.

Die Jugendhilfe sah man als einen erforderlichen Makel des Sozialismus an, der jedoch nur eine kurze Zeit lang anhalten sollte, bis man mithilfe der Jugendhilfe eine komplett sozialistische Gesellschaft ohne „Störfaktoren“ geschaffen hatte.

Die Vorstellungen einer „sozialistischen Persönlichkeit“ änderten sich im Laufe der Geschichte der DDR kaum.

Die Entwicklung der Jugendhilfe in der DDR begann nach Ende des 2. Weltkrieges im Jahre 1945.

In den Wirren der Nachkriegszeit litt ein Großteil der Jugendlichen unter materieller und seelischer Not. Viele waren verwahrlost und hungrig. Die Kriminalität, insbesondere unter den Kindern und Jugendlichen, stieg rasant. Es kam zu einem Kampf um Leben und Tod, zu Raubüberfällen, Betrug, Unterschlagung, Schwarzhandel und Prostitution.

Um diese Not bekämpfen zu können, war es notwendig, die Kinder und Jugendlichen unterzubringen, zu versorgen und zu betreuen.

Zu Beginn konnte die Jugendhilfe nur durch die Hilfe von antifaschistischen Bürgerausschüssen, in denen hauptsächlich Frauen und Jugendliche vertreten werden, von Volkssolidarität und von Kirchen und Parteien aufgebaut und unterhalten werden.

Weil die Anzahl der neu eingerichteten Heime aber nicht ausreichte, beschloss man, neue Heime mit „geeigneteren“ einzurichten, in denen den Jugendlichen die Möglichkeit geboten werden sollte, einen Beruf zu erlenen. Außerdem sollten in der Freizeit Sport, Spiel und Kulturveranstaltungen Platz finden und man wollte sich um die vernachlässigten Schulkenntnisse der Kinder und Jugendlichen kümmern.

Dieser Vorschlag hört sich erst einmal gut an, doch die Verwirklichung war anstatt hilfreich nur grauenhaft und menschenunwürdig. Doch dazu später.

In den besagten neuen, besser „geeigneteren“ Einrichtungen mangelte es an Einrichtungs- und Gebrauchsgegenständen, an Lebensmitteln, Geld und Personal.

Anfangs belief sich die Aufenthaltsdauer der Kinder und Jugendlichen in den Heimen auf eine kurze Zeit.

Währenddessen entwickelte sich die „Deutsche Zentralverwaltung für Volksbildung“, die 1949 mit der Gründung der DDR zum DDR-Volksbildungsministerium wurde, immer mehr zur wichtigsten Regelungsinstitution und nahm somit auch immer mehr Einfluss auf die Kinder- und Jugendheime.

Die Ausbildung der Erzieher und Leiter der Heime ließ zu wünschen übrig. Es wurden insgesamt ca. 5000 Personen in Sechs – Monats – Kursen ausgebildet. Die Qualifizierung der Mitarbeiter erwies sich als schwierig.

Bis Mitte der 1950er Jahre befand sich die Jugendhilfe in der DDR weitestgehend in staatlicher Hand.

Formell waren noch die Volksbildungsministerien der Länder für die Einrichtung der Länder zuständig, jedoch sorgte das Ministerium für Volksbildung der DDR für die nähere Zielbestimmung. Ihm oblag von nun an die Genehmigung und Schließung der Heime.

Alle Heime waren dazu verpflichtet, beim Volksbildungsministerium einen Antrag auf Bestätigung zu stellen. Wenn kein solcher Antrag vorlag, wurde das Heim geschlossen. Auch minimale Änderungen (z.B. Kapazitätsänderung oder Änderung der Zweckbestimmung) musste vom Volksbildungsministerium genehmigt werden.

Man unterschied die verschiedenen Heime zwischen:

  • Normalkinderheimen

  • Spezialkinderheimen

  • Aufnahme – und Beobachtungsheimen für Kinder und Jugendliche „bei denen Fürsorgeerziehung oder Strafvollzug angeordnet oder mit den Erziehungsberechtigten auf freiwilliger Grundlage vereinbart wurde“

  • Jugendwerkhöfen, die „erziehungsschwierige und straffällige“ Jugendliche aufnehmen sollten,

  • Jugendwohnheimen,

  • Heimen für „schwererziehbare, bildungsfähige und schwachsinnige“ Jugendliche und

  • Durchgangsstationen (für etwa 14 Tage), wenn bei Kindern und Jugendlichen einer Gefährdung der eigenen Person oder der „Öffentlichkeit“ vorgebeugt werden sollte. Diese Institutionen wandelte man in den siebziger Jahren in Durchgangsheime um. Für jeden Bezirk war ein solches Heim vorgesehen.

Sehr viel Wert legte man in den Jugendwerkhöfen auf eine enge Verbindung von Aufenthalt und – speziell der Ausbildung – zur Arbeit.

Aus den Einrichtungen drang kaum etwas an die Öffentlichkeit. 1965 richtete man in Torgau sogar einen völlig geschlossenen Jugendwerkhof ein.


Der GJWH Torgau


Der Jugendwerkhof Rühn

Am 23. Mai 1952 wurden neue Bestimmungen für das Jugendgerichtsgesetz (JGG) eingeführt, die besagten, dass die Abteilung Jugendhilfe und Heimerziehung, die beim Rat des Kreises angesiedelt war, am gesamten Strafverfahren gegen jugendliche Straftäter zwischen 14 und 18 Jahren beteiligt werden solle. Es hieß, dass die Unterbringung in einem Jugendwerkhof angeordnet werden könne, wenn andere erzieherische Maßnahmen nicht mehr ausreichten.

Die „Reduzierung und schließlich Beseitigung der noch vorhandenen Erscheinungen des Abgleitens von Kindern und Jugendlichen“, wie Eberhard Mannschatz, der damalige Nestor der DDR-Jugendhilfe, es nannte, sollte unter staatlicher Führung stehen und zu einem gesamtgesellschaftlichen Anliegen werden.

Neben der Beteiligung von Schule, Betrieb, Jugendorganisation und Elternhaus sollten also auch ehrenamtliche Bürger der Bevölkerung angewiesen werden. 1953 regelte man den Einsatz, die Aufgaben, die Arbeitsweise und Schulung der ehrenamtlichen Jugendhelfer.

Zum zentralen Charakter der sozialistischen Jugendhilfe wurde das Miteinbeziehen der Gesellschaft in die Erziehung der Kinder und Jugendlichen.

Um eine Erziehung zur „allseitig entwickelten sozialistischen Persönlichkeit“ zu erreichen, mussten jedoch sowohl eine pädagogisch als auch eine politisch-ideologische Eignung der Jugendhelfer vorausgesetzt werden. Ende der 1950er Jahre war das fachliche Niveau der Mitarbeiter noch immer niedrig. Nur wenige besaßen eine gute, pädagogische Ausbildung, denn die meisten hatten sich nur durch kurze Weiterbildungslehrgänge qualifiziert. Das war der Anlass für die Einrichtung einer dreijährigen Vollausbildung für Jugendfürsorger am „Institut für Jugendhilfe“ im Jahre 1959. Bereits tätige Mitarbeiter hatten die Möglichkeit, die Abschlussprüfung nachzuholen.

Erst in den 1960er Jahren, nach der Teilung Deutschland durch den Mauerbau, wurden die rechtlichen Grundlagen der Jugendhilfe geschaffen, die größtenteils bis zum Ende der DDR bestehen blieben.

Seit diesem Zeitpunkt an sollte Jugendhilfe als Bestandteil der Jugend- und Bildungspolitik verstanden werden. Die zentralen Aufgabengebiete der Jugendhilfe waren im Familiengesetzbuch (FGB) im §1 festgelegt.

Der Wille der Eltern begründete kein Abwehrrecht gegen das Eingreifen des Staates, weil man voraussetzte, dass die Interessen von Familie und sozialistischer Gesellschaft übereinstimmten.

Die Aufgabe der Eltern war es, ihre Kinder zu sozialistischen Staatsbürgern zu erziehen. Gingen sie dieser Pflicht nicht nach, konnte der Staat eingreifen.

In den Augen der Sozialisten war „Arbeitsbummelei“ ein Merkmal für Asozialität. Auch „Schulbummelei“ wurde als „Arbeitsverweigerung“ aufgefasst, was ein Anzeichen für „Gefährdung“ und somit wieder eine Begründung für Heimeinweisungen sein konnte.

Erst ca. 20 Jahre nach Ende des zweiten Weltkrieges kam es in allen Heimen der Jugendhilfe zu einer einheitlichen Rechtsgrundlage zur Planung, Leitung und Gestaltung der Bildungs- und Erziehungsarbeit. Man wollte zeitgleich das fachliche Niveau erhöhen und die Ausbildung der Mitarbeiter verbessern, um den Mangel an Personal und die Sachinkompetenz zu beseitigen.

Nach Ende der 1960er Jahre erfuhr die sozialistische Jugendhilfepolitik kaum noch gravierende Neuerungen.



Der ehemalige Jugendwerkhof Hummelshain – Ein Ort des Grauens.